Mit löchrigen Jeans durch Bulgarien


Lora wohnt in einem kleinen Dorf in Bulgarien, in dem sich jeder strikt an die Traditionen hält. Das heißt also, dass sich jeder beim Namen kennt. Alle scheinen zu wissen, was das Beste für die Mitbewohner ist.
So auch bei der Protagonistin, deren Vater an einem unerwarteten Herzinfarkt stirbt. Da jedoch das Verhältnis zwischen Vater und Tochter nie besonders eng war, drückt Lora ihre Trauer nach außen hin fast gar nicht aus. Das junge Mädchen trägt gerademal einen kleines, kurzes, schwarzes Tuch als Zeichen für ihr Mitgefühl. Im Gegensatz zu ihrer braven Schwester, lässt das die ganze Situation noch mehr eskalieren. Lora treibt sich, ohne ein Träne zu vergießen, mit Rockmusik in den Ohrstöpseln, bauchfreien T-Shirts und zerrissenen Jeans herum. So lange die Stimmung zwischen ihrem Freund und ihr harmonisch ist, kann Lora nichts aus der Ruhe bringen.
Plötzlich kippt die Vertrautheit zwischen der Hauptdarstellerin und ihren Freunden. Selbst diese beginnen sich über ihre unaufrechte Trauer zu wundern und wollen vorerst nichts mehr mit ihr zu tun haben.
Die Tatsache, dass man auch auf individuelle Art und Weise seine Gefühle ausdrücken kann, wird nicht akzeptiert.

Der als "lobende Erwähnung" ausgezeichneter Film bereitet dem Zuschauer die bulgarische Kultur und Dorftradition auf. Man bekommt viele Bilder von älteren, weinenden Frauen zu Gesicht, was fast schon absurd wirkt. Durch den hohen Anteil von lautstarken weinerlichen Frauen schafft "Zhaleika" eine Distanz zwischen Publikum und Plot.
Die Protagonistin spielt den Charakter sehr überzeugend, sie ist selbstbewusst, stark und philosophisch zugleich. Eigentlich ein Vorbild für jede Emanzipierte Frau.
Trotzdem hat eine bestimmte Sache gefehlt. "Zhaleika" kam mir etwas lang vor. Die Handlung war nicht vielschichtig, wie man es von anderen Berlinalestreifen gewohnt ist. Mit häufig vorkommenden Bildern, z.B. die Szenen, in denen Lora durch das Dorf schlendert, wird eine zähe, langatmige Stimmung erzeugt. Zum Thema mag das passen, doch mir fehlte das gewisse Etwas.
Durch die Mischung aus deutscher und bulgarischer Regieleitung gab es glücklicherweise noch einige witzige Einlagen, die den deutschen Tourismus charmant auf die Schippe nehmen.
"Zhaleika" basiert auf einer tollen Idee, weswegen der Film auch zurecht die lobende Erwähnung bekommen hat. Allerdings würde ich den Film nicht als "Must-see" einstufen, da es an Facettenreichtum fehlt. Die Umsetzung hätte noch spannender gestaltet werden können.
28.2.2016, Eva Swiderski

"Einteilung ist das halbe Leben"

Das ist die Antwort des Kutschers auf Tims Bitte ein bisschen schneller zu fahren, weil er nicht mehr viel Zeit habe.

Heute hatte ich die Möglichkeit den Film "Die Reise nach Sundevit" im Rahmen einer filmpädagogischen Veranstaltung zu gucken, wie der Moderator in seiner langen Begrüßung betont, als jemand sagt, der Film solle jetzt mal anfangen. Er stellt die Filmvorführung als die einzige Retro-Cross Veranstaltung für Kinder auf der Berlinale vor. Dabei steht das "Retro" für die Sektion Retrospektive und "Cross" für Crosssektion, also eine Verbindung zwischen zwei Sektionen.

Der 50 Jahre alte DEFA Film, zeigt auf eine reizende Art und Weise, wie der kleine Junge Tim durch seine Hilfsbereitschaft, seinem Traum mit anderen Kindern auf Fahrt zu gehen im weg seht. Tim wohnt alleine mit seinem Vater der Leuchtturmwächter ist und seiner Mutter am Leuchtturm. Eigentlich ist er mit einer Gruppe von Kindern verabredet am Mittag los auf Fahrt nach Sundevit zu gehen, vorher bietet er seinem Vater noch an etwas im Dorf abzugeben. Doch auf dem Weg trifft er immer wieder Leuten, die ihn bitten für sie etwas zu erledigen. In seiner Gutmütigkeit sagt Tim immer "ja", wodurch ihm die Zeit davon rennt, wenn er noch pünktlich am Leuchtturm sein möchte.

Besonders interessant ist die Entwicklung die man bei Tim beobachten kann. Anfangs sagt er noch "die 10 Minuten habe er noch", als ihm die Erwachsenen sagen, er würde es sonst nicht pünktlich nach Hause schaffen. Nach einer Weile ist auch er der Meinung er habe keine Zeit mehr, trotz allem schafft Tim es nicht einfach "nein" zu sagen und nicht zu helfen. Als die Kinder aber weg sind bevor er nach Hause kommt, macht er sich auf den weg ihnen hinterher zu reisen. Auf diesem Weg muss Tim enttäuscht feststellen, dass er zwar allen geholfen hat, ihm aber niemand wirklich helfen will, wenn er darum bittet.
Die fröhliche und belebende Musik gibt einem ein schönes Sommergefühl, was bei dem nassen und kalten Berlinalewetter sehr angenehm ist.

"Die Reise nach Sundvit" ist ein charmanter alter Kinderfilm, der es schafft die Gefühle des des kleinen Jungen einzufangen. Auch die Schauspielerischen Leistungen des Hauptdarstellers Ralf Strohbach als Tim begeistern den Zuschauer. Ich kann es auf jeden Fall empfehlen nach diesem Film zu suchen und ihn mit seinen Kindern anzuschauen.

27.02.2016, Klara Hirseland

Publikumsliebling 14Plus


Natürlich wollen wir auch wieder unseren 14Plus Publikumsliebling ehren.

Mit insgesamt jeweils 15 von den 88 Stimmen haben wir dieses Jahr zum ersten Mal einen Gleichstand. Die beiden Gewinner sind...:
Each of them having received 15 of the 88 votes we have a tie. The two movies awarded are…:


                                                           Sairat                         und                      Born to Dance



Herzlichen Glückwunsch!
Congratulations!

Ab 11% der Stimmen folgt ein recht enges Feld. Den dritten Platz erhält Ma Révolution mit 10 Stimmen, es folgt El Soñador mit 9 Stimmen, Girl Asleep mit 8 und Royahaye Dame Sobh mit 7. Der Jugendjury-Gewinnerfilm Es Esmu Seit kommt auf 6%.

The following films were ranked quite close. Ma Révolution received 10 votes, El Soñador 9, Girl Asleep 8 and Royahaye Dame Sobh 7. The winner of the Chrystal Bear of the Youth Jury, Es Esmu Seit, received 6% of all votes.


Publikumsliebling KPlus


Auch in diesem Jahr möchten wir wieder unseren Publikumsliebling aus KPlus küren.

Nach einer Befragung von 105 Personen können wir nun stolz unseren Gewinner präsentieren. Mit 18% aller Stimmen geht der diesjährige Publikumspreis an... (Trommelwirbel)...:
Again this year we would like to award the “Darling oft he Public“ of KPlus. Having received 19 of the 105 votes our Darling of the Public of this year’s Berlinale goes to… (drum roll)…:

Jamais Contente


Herzlichen Glückwunsch!
Congratulations! 

Knapp folgt an zweiter Stelle Rara mit 17 der 105 Stimmen, während unser dritter Platz von Little Men mit 15 Stimmen belegt wird.
Der diesjährige Gewinnerfilm der Kinderjury, Ottaal, erhält insgesamt fast 10% der Stimmen.
Closely followed by Rara with 17 of the 105 votes and Little Men with 15 votes. This year’s winner film of the children’s jury, Ottaal, received nearly 10% of all votes.

Hier nun auch nochmal kurz die Grafik:
Here is a pie chart for a general overview:

"Du bist schlau, du hättest in einer reichen Familie geboren werden sollen."

Ottaal erzählt die Geschichte des achtjährigen Kuttappayi, der mit seinem Großvater durch den Süden Indiens zieht, um Entenschwärme zu hüten und ihre Eier auszubrüten. Sie bleiben nicht länger als ein paar Monate ein einem Ort, schlafen auf selbstgebauten Bambushütten über dem Wasser und es scheint, als lebten sie ihr Leben trotz der Armut in vollen Zügen. Kuttappayis Eltern nahmen sich - wie man im Laufe des Filmes erfährt - wegen zu hoher Schulden das Leben, so ist Kuttappayis Großvater sein einziger Angehöriger, der sich aber liebevoll um ihn kümmert. Er tut das bestmögliche, um seinem Enkel ein leichtes und behütetes Leben zu schaffen, lehrt ihm Dinge der Natur und will ihn gut auf ein späteres Leben vorbereiten. Doch bald wird klar, dass Kuttappayi, der Freundschaft mit einem reichen Schuljungen aus der Gegend Freundschaft geschlossen hat, mehr will, als nur ein Leben in der Natur. In ihm wächst immer mehr der Wunsch zu lernen und zur Schule zu gehen. Doch aufgrund der Armut kann sich Kuttappayis Großvater keine Schulbildung für ihn leisten, der sich dazu noch wegen seines voranschreitenden Alters und einer Erkrankung um Kuttappayis Zukunft sorgen muss, die ohne ihn wenig positiv verlaufen würde.

Der Regisseur Jayaraj bringt dem Publikum mit Ottaal das Schicksal tausender indischer Kinder näher. Auf erschreckend nahkommende aber zugleich leichte Art bringt er die immer noch gravierenden gesellschaftlichen Probleme Indiens der Chancenungleichheit, Kinderarbeit und Kastengesellschaft in einem Film zusammen, der das gesamte Publikum fesselt. Mit Ashant Sha, einem sehr authentischen Schauspieler für Kuttappayi, der es schafft, die doch sehr ernste Thematik auf sachte und unbefangene Weise den jungen Zuschauern nahe zu bringen, und paradiesisch schönen Bildern Südindiens, lässt der Film das Publikum in die Geschichte eintauchen und regt jeden zum Nachdenken an.

Doch Ottaal tut viel mehr, als nur das: Er lässt seine Zuschauer mitlachen, weinen und leiden, und berührt auf eine Art und Weise, die man kaum in Worte fassen kann. Von Anfang an ahnt der Zuschauer eine düstere Wendung und begreift das schreckliche Schicksal vieler Kinder dieser Welt, doch lässt der Film die Zuschauer mitfiebern und von Kuttappayis einzigartiger Selbstlosigkeit und Lebenslust verzaubern und anstecken. Gegen Ende wird sicherlich der ein oder andere ein paar Tränen losgeworden sein, bewusst von dem eigenen Glück, in einem Land voll Reichtum und Sicherheit geboren zu sein, und mit einem flauen Gefühl im Magen, daran denkend, wie ungerecht das Leben in einigen Ländern noch immer ist.

Die enorme Wirkung, die der Film beim Publikum hinterlassen hat, wird auch durch den fünfminütigen Applaus bestätigt, der nach dem letzten Schnitt von Ottaal ausbricht und auch noch anhält, als der Vorhang fällt und der Saal wieder erleuchtet wird. Jeder Zuschauer will dem Regisseur und vor allem dem kleinen Ashant für ihren Film danken und immer mehr erheben sich von ihren Sitzen, um ihre Begeisterung zu zeigen. Eine Kulisse, die man selbst bei der Berlinale selten zu sehen bekommt und auch den letzten Zweifler ganz und gar ergreift.

23.02.2016, Clara Bahrs (Gastschreiberin)

Ein wichtiges Gespräch

Life On The Border


Am Donnerstag um 15 Uhr wurde einmalig auf dieser Berlinale der Dokumentarfilm Life on the Border gezeigt, der über Kinder und deren Schicksale berichtet, die in den Flüchtlingslagern Kobane und Shingal notuntergekommen sind.
Viele Zuschauer waren tief betroffen, die Tränenspuren auf ihren Gesichtern klar zu erkennen.
Beklemmende Stille erfüllt den Saal, als der Abspann läuft.
Umso wichtiger, dass über diesen Film gesprochen wird. Auf der Bühne wird extra umgebaut, sodass nun Sessel dort stehen, in denen sich der Filmemacher Bahman Ghobadi und die Produzentin, die Moderatorin und eine Dolmetscherin niederlassen.

Und das einstündige Publikumsgespräch beginnt. Die ganze Zeit über ist es auffallend still. Viele sind noch zu geschockt, um großartig Lärm zu machen. Diejenigen, die den Saal verlassen, tun es sehr leise.

Die Moderatorin beginnt damit, von der Sprachlosigkeit zu sprechen, die der Film hinterlässt. Dass er jedoch gleichzeitig versuche, denjenigen, die sich in diesen schrecklichen Situationen befinden, eine Stimme zu geben. Eine Stimme, mit der sie davon berichten können.

Nun spricht zum ersten Mal der Produzent Bahman Ghobadi. Er habe viele Monate mit den Kindern verbracht. Eine Zeit, in der er mit so schlimmen und tragischen Schicksalen konfrontiert wurde, dass er nach Fertigstellung des Films einige Zeit brauchte, bis er es über sich bringen konnte, den Film erneut anzugucken.
Mir geht es ähnlich. Bevor ich dieses Gespräch niedertippen konnte, brauchte ich erst mal einige Tage Abstand, in der ich in Ruhe über alles nachdenken konnte. Erst jetzt fühle ich mich in der Lage, noch einmal diese Unterhaltung zu durchleben.

Die nächste Frage bezieht sich auf die Tatsache, dass Bahman Ghobadi diesmal bewusst nicht selbst Regie geführt hat, sondern den Kindern die Möglichkeit gegeben hat, ihre Geschichten völlig autonom zu erzählen und ihnen in diesem Sinne auch die komplette Regie überlassen hat.

Bahman Ghobadi: „Als der Krieg begann, flogen eine Menge Journalisten in das Kriegsgebiet und interviewten dort die Menschen und auch die Kinder. Manchmal durften die Kinder auch tatsächlich reden, aber wir wollten das Leben der Kinder wirklich aus ihren Augen erzählen. Aus den Augen derer, die tatsächlich diese schlimmen und tragischen Dinge erlebt haben. Wir wollten, dass sie ihre eigenen Geschichten erzählen und hierfür ihre eigenen Techniken benutzen.“

Die nächste Frage geht um die Arbeit mit den Kindern und was Bahman Ghobadis Schwerpunkte in seiner Filmvermittlung gewesen wären.

Bahman Ghobadi: „Wir haben in vier verschiedenen Camps gefilmt und in jedem Camp jeweils ein paar Monate verbracht, sodass wir insgesamt ungefähr auf 7/8 Monate kamen. Wir waren insgesamt 6 Leute im Team. Zusammen haben wir den Kindern zuerst beigebracht, wie man Filme macht, wie man als Filmemacher arbeitet und wie man ein Szenario schreibt. Sie haben sich sehr clever angestellt und sehr schnell gelernt. Und auch wenn die Zeit zusammen sehr hart war, weil es unglaublich schwierig war, von diesen ganzen Schicksalen zu erfahren, hatten wir doch auch eine tolle Zeit zusammen.

Die Geschichten, die im Film gezeigt werden, sind alle wahr. Das haben die Kinder so wirklich erlebt. Ich habe hunderte unterschiedliche sehr schlimme Geschichten von Kindern gehört und es war sehr hart, auszusuchen, welche nun in den Film kommen.
In jedem Camp haben wir ungefähr 20 Kinder unterrichtet und natürlich war für die Auswahl der Geschichte die Geschichte an sich sehr wichtig, aber auch wie sich die Kinder angestellt haben, was für ein Talent sie hatten, wie sehr sie diese Geschichte umsetzen konnten und wie viel sie ihnen bedeutete.“

Anschließend wird auf die Produktionsumstände eingegangen. Die Produzentin berichtet, dass sie zuvor noch nie in einem Flüchtlingslager gewesen war und es für sie allein schon deswegen von Anfang an sehr schwierig war. Zu sehen, wie all diese Leute ihr Zuhause zurückgelassen haben, um dort – in diesen furchtbaren Bedingungen - notunterzukommen. Jedes Mal, wenn sie die Camps besuchte, wollte sie den Kindern etwas mitbringen, irgendwas, Süßigkeiten, Kuscheltiere, einfach irgendetwas, doch es war nie genug.
Auch die Produktion sei sehr schwierig gewesen. Immerhin seien sie von der UN unterstützt worden, doch weil es kaum Ausstattung gab, hätte sich die Produktion als sehr schwierig herausgestellt.

Der Filmemacher habe tatsächlich auch immer noch Kontakt zu den Kindern und er hätte sich sehr gewünscht, dass es den Kindern möglich gewesen wäre, auch nach Berlin zu kommen, aber da keines der Kinder einen Reisepass besitzt, war das leider unmöglich. Auch seien die Sicherheitsvorkehrungen in den Flüchtlingslagern so hoch, dass es kaum möglich wäre, im Camp neue Papiere zu bekommen. Sie hätten auch Unterstützung vom deutschen Konsulat in Kurdistan und auch von der Berlinale gehabt, aber leider hätte es einfach nicht geklappt.
„Meiner Meinung nach ist es nicht mein Recht, hier oben zu sitzen, sondern das der Kinder. Es ist ihr Film, es sind ihre Geschichten. Sie müssten hier sein, um darüber zu sprechen.“ Leider sei es ihm nun erst mal nicht mehr möglich, in diese Lager zurückzukehren – er hätte sehr gerne noch weitere Filme mit ihnen gedreht – aber er sei nun ISIS leider nicht mehr unbekannt und könne sich aus Sicherheitsgründen dort erst mal nicht mehr sehen lassen.

Bisher hätten die Kindern den Film noch nicht gesehen, aber die Produzentin erzählt davon, dass sie planen, nach der Berlinale dorthin zurückzukehren und ihn alle gemeinsam zu schauen.
Daraufhin schlug eine Frau aus dem Publikum vor, für die Kinder ein Video mit begeisterten Jubelrufen zu drehen, um ihnen anschließend die Reaktion des Publikums präsentieren zu können, wo sie nun leider nicht vor Ort hatten dabei sein können.
Der ganze Saal brach in tosenden Beifall aus.


Nun wendet sich das Gespräch dem Thema zu, warum nicht auch in der Türkei in Flüchtlingslagern gedreht wurde, da die Situation dort schließlich auch sehr kritisch sei und wie Bahman sich bei dem Gedanken an die Geschehnisse in der Türkei fühle.
Das Filmteam hätte leider keine Möglichkeit gehabt, einen Film über das ganze Gebiet zu drehen, könnte es sich aber durchaus für zukünftige Filme vorstellen. Die Situation dort sei natürlich furchtbar. Im Grunde handle es sich um Genozid. Seiner Meinung nach sollten sie den Konflikt dort einfach gehen lassen. In solchen Situationen sollte wirklich jeder erkennen, dass nun Verantwortung übernommen werden muss. Man sollte nicht wegsehen, sondern sich damit beschäftigen und sich engagieren.

Zum Ende hin wollte Bahman Ghobadi noch einen Brief vorlesen, den die Kinder verfasst hatten, weil sie leider selber nicht kommen konnten. Einen Brief an Merkel:

„Liebe Frau Merkel,
wir Kinder aus Shingal und Kobane danken Ihnen so sehr, dass Sie den Flüchtlingen, die in Ihr Land kommen, Ihre Arme öffnen. Wir haben einige Monate mit den Filmemachern rund um Bahman Ghobadi verbracht. Während dieser Zeit haben wir diesen Film Life on the Border gemacht. Wir sind sehr glücklich, dass dieser Film auf der Berlinale gezeigt wird. Es tut uns sehr leid, dass wir nicht persönlich kommen konnten, aber leider fährt kein Bus aus Kurdistan nach Berlin.
Liebe Frau Merkel, wir wissen, dass sie häufig im Fernsehen sind und daher nicht viel Zeit haben. Dennoch würden wir uns sehr, sehr freuen, wenn Sie es schaffen würden, unseren Film anzusehen. Es war sehr schwer, diesen Film zu drehen. Wir wären sehr glücklich, wenn wir irgendwann selber Filmemacher werden könnten. Um bessere, größere und stärkere Filme zu machen. Bitte senden Sie uns keine Waffen, senden Sie Kameras, damit wir der ganzen Welt unser Leid und unsere Welt zeigen können.
Liebe Frau Merkel, vielleicht ist es Ihnen irgendwie möglich, den Krieg in unseren Heimatländern zu beenden und uns unsere Heimatstädte zurückzugeben, damit wir Sie nicht noch mehr stören, indem wir als Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Wir wollen zurück in unsere Heimatstädte, sie wieder aufbauen, dort leben, wo wir gelebt haben. An Orten mit Büchereien, Kinos und Vergnügungsparks. Wir haben nichts davon. Wir haben kein zuhause, keine Büchereien, keine Kinos, keine Vergnügungsparks.
Liebe Frau Merkel, wir wünschen Ihnen, dass Sie immer gesund sind und hoffen, dass dieser Brief Sie erreicht. Hoffentlich können Sie auf unseren Brief antworten. Wir danken der Berlinale, dass sie unseren Film hier gezeigt haben.
Mit freundlichen Grüßen,
Sami Hossein, Basmeh Soleiman, Hazem Khodeideh, Zohour Saeid, Delovan Kekha, Ronahi Ezaddin, Mahmod Ahmad, Diar Omar“

Ganz zum Abschied kommt noch ein Mädchen nach vorne, die aus Shingal kommt und nun als Flüchtling in Berlin lebt, um ein Gedicht vorzutragen:

"Mein liebstes Shingal,
meine liebste Stadt, die immer geschienen hat,
schon wieder ist hier Blut und das Schreien der Kinder,
das Schreien und Weinen der Mädchen,
niemand war zu jener Zeit dort, um mein liebstes Shingal zu verteidigen,
Shingal ist voll von Blut und berührenden Bildern,
hier gibt es nichts als Staub,
wird es uns jemals möglich sein, zu dir, auf deine Straßen, zurückzukehren?
Zurückzukehren zu deiner Schönheit, zu deinem Scheinen?
Mein Shingal ist ermordet und verkauft worden,
Unsere Mädchen sind für wenig Geld verkauft worden an furchtbare Menschenrechtsverletzer,
Es ist nichts mehr übrig als die Knochen unserer Kinder
Mein liebstes Shingal, wird es mir möglich sein, zurückzukehren?
Oh Shingal, das Licht wird dunkel
Wie viele Tränen brauchst du, um uns unsere verlorenen Brüder und Schwestern zurückzugeben?
Wie viele Tränen von Müttern brauchst du, um ihnen ihre Kinder wiederzugeben?
Shingal war voller Feinde,
Seit dem 3. August 2013 werden wir Kinder von Steinen erdrückt.
Die Alten starben an Durst und Hunger.
Wir werden diesen Tag nie vergessen."

22.02.2016, Sarah Gosten

Die Wünsche zweier alleingelassener, ausgestoßener Kinder

Die kleine Sun ist sehr einsam: in ihrer Klasse wird sie gemobbt, ihre Eltern arbeiten den ganzen Tag in der Fabrik und nach der Schule muss die Zehnjährige auch noch auf ihren kleinen Bruder aufpassen.
Als endlich die Sommerferien beginnen, scheint auch noch der letzte Traum zu platzen: für die lang ersehnte Reise ans Meer fehlt das Geld. Doch dann taucht die selbstbewusste Jia auf und freundet sich mit ihrer neuen Klassenkameradin an. Die beiden verbringen eine glückliche Ferienwoche miteinander, bis Jia sich plötzlich komisch benimmt und sich immer mehr von Sun zurückzieht.

In ihrem Langfilmdebüt erzählt die koreanische Regisseurin Yoo Ga-eun, die 2014 den gläsernen Bären für ihren Kurzfilm Sprout gewann, von den Wünschen zweier alleingelassener, ausgestoßener Kinder.
Jia's Mutter arbeitet angeblich in England und hat nie Zeit für sie, weshalb sie bei ihrer reichen, sehr strengen Großmutter wohnt. Eifersüchtig auf die liebevolle Beziehung, die Sun und ihre Mutter haben, fängt Jia in der Schule an, Sun vor ihren Mitschülern bloß zustellen, bis die ausgeschlossene Sun den Spieß umdreht und die Situation eskaliert.

In pastellnen Fraben erzählt dieser Film die berührende Geschichte eines kleinen Mädchens, das sich nichts mehr als eine Freundin wünscht und immer wieder zurückgestoßen wird, dabei bleibt die sehr respektvolle Kamera immer liebevoll auf Augenhöhe mit der kleinen Protagonistin.
Anders als in den vorherigen fern-ost asiatischen Filmen, die ich bis jetzt gesehen habe, ist dieser voll von gezeigten Emotionen, auch habe ich hier zum ersten Mal eine Mutter aus diesem Kulturkreis gesehen, die wirklich liebevoll mit ihrem Kind umgeht.
Offen bleibt für mich jedoch die vielleicht nicht relevante Frage, warum Sun schon zu Anfang der Geschichte in ihrer Klasse die Außenseiterin ist.

Woorideul ist kein klassischer Mobbingfilm, es geht vielmehr um allein gelassene Kinder, und diese Geschichte wird mit bestechender Klarheit erzählt.

22.02.2016, Hannah Kähler (Gastschreiberin) 15 Jahre