Life On The BorderAm Donnerstag um 15 Uhr wurde einmalig auf dieser Berlinale der Dokumentarfilm
Life on the Border gezeigt, der über Kinder und deren Schicksale berichtet, die in den Flüchtlingslagern Kobane und Shingal notuntergekommen sind.
Viele Zuschauer waren tief betroffen, die Tränenspuren auf ihren Gesichtern klar zu erkennen.
Beklemmende Stille erfüllt den Saal, als der Abspann läuft.
Umso wichtiger, dass über diesen Film gesprochen wird. Auf der Bühne wird extra umgebaut, sodass nun Sessel dort stehen, in denen sich der Filmemacher Bahman Ghobadi und die Produzentin, die Moderatorin und eine Dolmetscherin niederlassen.
Und das einstündige Publikumsgespräch beginnt. Die ganze Zeit über ist es auffallend still. Viele sind noch zu geschockt, um großartig Lärm zu machen. Diejenigen, die den Saal verlassen, tun es sehr leise.
Die Moderatorin beginnt damit, von der Sprachlosigkeit zu sprechen, die der Film hinterlässt. Dass er jedoch gleichzeitig versuche, denjenigen, die sich in diesen schrecklichen Situationen befinden, eine Stimme zu geben. Eine Stimme, mit der sie davon berichten können.
Nun spricht zum ersten Mal der Produzent Bahman Ghobadi. Er habe viele Monate mit den Kindern verbracht. Eine Zeit, in der er mit so schlimmen und tragischen Schicksalen konfrontiert wurde, dass er nach Fertigstellung des Films einige Zeit brauchte, bis er es über sich bringen konnte, den Film erneut anzugucken.
Mir geht es ähnlich. Bevor ich dieses Gespräch niedertippen konnte, brauchte ich erst mal einige Tage Abstand, in der ich in Ruhe über alles nachdenken konnte. Erst jetzt fühle ich mich in der Lage, noch einmal diese Unterhaltung zu durchleben.
Die nächste Frage bezieht sich auf die Tatsache, dass Bahman Ghobadi diesmal bewusst nicht selbst Regie geführt hat, sondern den Kindern die Möglichkeit gegeben hat, ihre Geschichten völlig autonom zu erzählen und ihnen in diesem Sinne auch die komplette Regie überlassen hat.
Bahman Ghobadi: „Als der Krieg begann, flogen eine Menge Journalisten in das Kriegsgebiet und interviewten dort die Menschen und auch die Kinder. Manchmal durften die Kinder auch tatsächlich reden, aber wir wollten das Leben der Kinder wirklich aus ihren Augen erzählen. Aus den Augen derer, die tatsächlich diese schlimmen und tragischen Dinge erlebt haben. Wir wollten, dass sie ihre eigenen Geschichten erzählen und hierfür ihre eigenen Techniken benutzen.“
Die nächste Frage geht um die Arbeit mit den Kindern und was Bahman Ghobadis Schwerpunkte in seiner Filmvermittlung gewesen wären.
Bahman Ghobadi: „Wir haben in vier verschiedenen Camps gefilmt und in jedem Camp jeweils ein paar Monate verbracht, sodass wir insgesamt ungefähr auf 7/8 Monate kamen. Wir waren insgesamt 6 Leute im Team. Zusammen haben wir den Kindern zuerst beigebracht, wie man Filme macht, wie man als Filmemacher arbeitet und wie man ein Szenario schreibt. Sie haben sich sehr clever angestellt und sehr schnell gelernt. Und auch wenn die Zeit zusammen sehr hart war, weil es unglaublich schwierig war, von diesen ganzen Schicksalen zu erfahren, hatten wir doch auch eine tolle Zeit zusammen.
Die Geschichten, die im Film gezeigt werden, sind alle wahr. Das haben die Kinder so wirklich erlebt. Ich habe hunderte unterschiedliche sehr schlimme Geschichten von Kindern gehört und es war sehr hart, auszusuchen, welche nun in den Film kommen.
In jedem Camp haben wir ungefähr 20 Kinder unterrichtet und natürlich war für die Auswahl der Geschichte die Geschichte an sich sehr wichtig, aber auch wie sich die Kinder angestellt haben, was für ein Talent sie hatten, wie sehr sie diese Geschichte umsetzen konnten und wie viel sie ihnen bedeutete.“
Anschließend wird auf die Produktionsumstände eingegangen. Die Produzentin berichtet, dass sie zuvor noch nie in einem Flüchtlingslager gewesen war und es für sie allein schon deswegen von Anfang an sehr schwierig war. Zu sehen, wie all diese Leute ihr Zuhause zurückgelassen haben, um dort – in diesen furchtbaren Bedingungen - notunterzukommen. Jedes Mal, wenn sie die Camps besuchte, wollte sie den Kindern etwas mitbringen, irgendwas, Süßigkeiten, Kuscheltiere, einfach irgendetwas, doch es war nie genug.
Auch die Produktion sei sehr schwierig gewesen. Immerhin seien sie von der UN unterstützt worden, doch weil es kaum Ausstattung gab, hätte sich die Produktion als sehr schwierig herausgestellt.
Der Filmemacher habe tatsächlich auch immer noch Kontakt zu den Kindern und er hätte sich sehr gewünscht, dass es den Kindern möglich gewesen wäre, auch nach Berlin zu kommen, aber da keines der Kinder einen Reisepass besitzt, war das leider unmöglich. Auch seien die Sicherheitsvorkehrungen in den Flüchtlingslagern so hoch, dass es kaum möglich wäre, im Camp neue Papiere zu bekommen. Sie hätten auch Unterstützung vom deutschen Konsulat in Kurdistan und auch von der Berlinale gehabt, aber leider hätte es einfach nicht geklappt.
„Meiner Meinung nach ist es nicht mein Recht, hier oben zu sitzen, sondern das der Kinder. Es ist ihr Film, es sind ihre Geschichten. Sie müssten hier sein, um darüber zu sprechen.“ Leider sei es ihm nun erst mal nicht mehr möglich, in diese Lager zurückzukehren – er hätte sehr gerne noch weitere Filme mit ihnen gedreht – aber er sei nun ISIS leider nicht mehr unbekannt und könne sich aus Sicherheitsgründen dort erst mal nicht mehr sehen lassen.
Bisher hätten die Kindern den Film noch nicht gesehen, aber die Produzentin erzählt davon, dass sie planen, nach der Berlinale dorthin zurückzukehren und ihn alle gemeinsam zu schauen.
Daraufhin schlug eine Frau aus dem Publikum vor, für die Kinder ein Video mit begeisterten Jubelrufen zu drehen, um ihnen anschließend die Reaktion des Publikums präsentieren zu können, wo sie nun leider nicht vor Ort hatten dabei sein können.
Der ganze Saal brach in tosenden Beifall aus.
Nun wendet sich das Gespräch dem Thema zu, warum nicht auch in der Türkei in Flüchtlingslagern gedreht wurde, da die Situation dort schließlich auch sehr kritisch sei und wie Bahman sich bei dem Gedanken an die Geschehnisse in der Türkei fühle.
Das Filmteam hätte leider keine Möglichkeit gehabt, einen Film über das ganze Gebiet zu drehen, könnte es sich aber durchaus für zukünftige Filme vorstellen. Die Situation dort sei natürlich furchtbar. Im Grunde handle es sich um Genozid. Seiner Meinung nach sollten sie den Konflikt dort einfach gehen lassen. In solchen Situationen sollte wirklich jeder erkennen, dass nun Verantwortung übernommen werden muss. Man sollte nicht wegsehen, sondern sich damit beschäftigen und sich engagieren.
Zum Ende hin wollte Bahman Ghobadi noch einen Brief vorlesen, den die Kinder verfasst hatten, weil sie leider selber nicht kommen konnten. Einen Brief an Merkel:
„Liebe Frau Merkel,
wir Kinder aus Shingal und Kobane danken Ihnen so sehr, dass Sie den Flüchtlingen, die in Ihr Land kommen, Ihre Arme öffnen. Wir haben einige Monate mit den Filmemachern rund um Bahman Ghobadi verbracht. Während dieser Zeit haben wir diesen Film Life on the Border gemacht. Wir sind sehr glücklich, dass dieser Film auf der Berlinale gezeigt wird. Es tut uns sehr leid, dass wir nicht persönlich kommen konnten, aber leider fährt kein Bus aus Kurdistan nach Berlin.
Liebe Frau Merkel, wir wissen, dass sie häufig im Fernsehen sind und daher nicht viel Zeit haben. Dennoch würden wir uns sehr, sehr freuen, wenn Sie es schaffen würden, unseren Film anzusehen. Es war sehr schwer, diesen Film zu drehen. Wir wären sehr glücklich, wenn wir irgendwann selber Filmemacher werden könnten. Um bessere, größere und stärkere Filme zu machen. Bitte senden Sie uns keine Waffen, senden Sie Kameras, damit wir der ganzen Welt unser Leid und unsere Welt zeigen können.
Liebe Frau Merkel, vielleicht ist es Ihnen irgendwie möglich, den Krieg in unseren Heimatländern zu beenden und uns unsere Heimatstädte zurückzugeben, damit wir Sie nicht noch mehr stören, indem wir als Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Wir wollen zurück in unsere Heimatstädte, sie wieder aufbauen, dort leben, wo wir gelebt haben. An Orten mit Büchereien, Kinos und Vergnügungsparks. Wir haben nichts davon. Wir haben kein zuhause, keine Büchereien, keine Kinos, keine Vergnügungsparks.
Liebe Frau Merkel, wir wünschen Ihnen, dass Sie immer gesund sind und hoffen, dass dieser Brief Sie erreicht. Hoffentlich können Sie auf unseren Brief antworten. Wir danken der Berlinale, dass sie unseren Film hier gezeigt haben.
Mit freundlichen Grüßen,
Sami Hossein, Basmeh Soleiman, Hazem Khodeideh, Zohour Saeid, Delovan Kekha, Ronahi Ezaddin, Mahmod Ahmad, Diar Omar“
Ganz zum Abschied kommt noch ein Mädchen nach vorne, die aus Shingal kommt und nun als Flüchtling in Berlin lebt, um ein Gedicht vorzutragen:
"Mein liebstes Shingal,
meine liebste Stadt, die immer geschienen hat,
schon wieder ist hier Blut und das Schreien der Kinder,
das Schreien und Weinen der Mädchen,
niemand war zu jener Zeit dort, um mein liebstes Shingal zu verteidigen,
Shingal ist voll von Blut und berührenden Bildern,
hier gibt es nichts als Staub,
wird es uns jemals möglich sein, zu dir, auf deine Straßen, zurückzukehren?
Zurückzukehren zu deiner Schönheit, zu deinem Scheinen?
Mein Shingal ist ermordet und verkauft worden,
Unsere Mädchen sind für wenig Geld verkauft worden an furchtbare Menschenrechtsverletzer,
Es ist nichts mehr übrig als die Knochen unserer Kinder
Mein liebstes Shingal, wird es mir möglich sein, zurückzukehren?
Oh Shingal, das Licht wird dunkel
Wie viele Tränen brauchst du, um uns unsere verlorenen Brüder und Schwestern zurückzugeben?
Wie viele Tränen von Müttern brauchst du, um ihnen ihre Kinder wiederzugeben?
Shingal war voller Feinde,
Seit dem 3. August 2013 werden wir Kinder von Steinen erdrückt.
Die Alten starben an Durst und Hunger.
Wir werden diesen Tag nie vergessen."
22.02.2016, Sarah Gosten